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| Siegmar Nesch

Während meiner Zeit als Vorstand habe ich mich oft gefragt, wie es Führungskräfte heutzutage schaffen, ihre Leistungsfähigkeit zu erhalten und ihre Wirksamkeit zu steigern, wo doch jeden Tag eine ganze Heerschar von Säuen durchs Dorf getrieben werden, scheinbar an jeder Ecke neue Stakeholder auftauchen und kaum, dass die Tinte unter einem Konzept trocken ist, schon wieder neue Konzepte vor der Bürotür Schlange stehen. Mittlerweile gilt im Führungsalltag die Regel, dass je schneller sie arbeiten, desto weniger Zeit ihnen am Ende des Tages übrig bleibt. Die durch virtuelle Formate der Zusammenarbeit eingesparten Reisezeiten sind im nächsten Moment mindestens wieder doppelt verplant. Auf das im ersten Semester der Betriebswirtschaftslehre eingetrichterte Verhältnis zwischen Input und Output, gemeinhin als Produktivität bekannt, scheint kein Hahn mehr zu krähen. Alles dreht sich immer schneller und der daraus zwangsweise grassierende Schwindel verbiegt die Überreste der Kompassnadeln, anstatt sie neu zu justieren. Begriffe wie VUKA, Disruption, Agile, New Work, Selbstorganisation oder Künstliche Intelligenz fehlen auf keiner Folie von Managern und Beratern mehr, die etwas von sich halten und die Welt anscheinend verstehen.

Ich wollte es neben den eigenen Erfahrungen aus 20 Jahren Führung dann doch etwas genauer wissen und habe meine Fühler weit ausgestreckt. Meine Kernfragen lauteten: Was bleibt am Ende des Tages wirklich übrig, was gute Führung ausmacht? Was ist im Kern die Essenz, die den Unterschied ausmacht, ob eine Person wirksam agiert oder nicht? Wie verändern Transformationsprozesse und neue Organisationsmodelle die Rollen und damit die Anforderungen an Führungskräfte?

Ausflüge ins Sillicon Valley und zu innovativen Firmen in unterschiedlichen Branchen, davon einige Weltmarktführer in ihrem Produktsegment, haben zum Teil erstaunliche Ergebnisse hervorgebracht. Der Erkenntniszugewinn für mich selbst war in dieser Phase zugegebenermaßen enorm und hat meine Neugier für eine fundierte Auseinandersetzung mit diesem Thema nachhaltig geweckt.

Wenn Führungskräfte entlang der aktuellen Ereignisse eines gelernt haben, dann ist es die große Bedeutung eines stabilen Fundaments, auf Basis dessen agiert – bisweilen reagiert - wird und oft weitreichende Entscheidungen getroffen werden. Entscheiden ohne gesicherte Informationsgrundlagen gepaart mit unklaren Zukunftsperspektiven ist in Unternehmen längst zur Standarddisziplin avanciert. Dabei betrifft die Wirkung dieser Entscheidungen häufig nicht nur Prozesse oder Produkte, sondern die Zukunft des Unternehmens und deren Mitarbeitende. Je nach Unternehmensgröße reichen die Auswirkungen vielfach deutlich über die Werkstore hinaus.

Doch unabhängig der Tagesaktualitäten und deren Folgen für die Menschen und die Wirtschaft haben sich die Grundlagen wirksamer Führung infolge der Transformationsprozesse in den letzten Jahren global und quer durch die Branchen grundlegend verändert. Die letzten Wochen werden „lediglich“ dazu führen, dass die ohnehin schon hauptsächlich durch die Digitalisierung getriebenen Transformationsprozesse von Unternehmen und ganzer Branchen nachhaltig beschleunigt werden. Das verändert nicht nur die Anforderungen an Prozesse, Strukturen und Management, sondern fordert ein Um- und oft sogar ein radikales Neudenken des eigenen Führungshandelns, mithin der Haltung oder, wie es neudeutsch heißt, des Mindsets. Management in allen Kapillaren neu denken ist das Gebot der Stunde. Rahmenbedingungen ändern sich in immer kürzeren Intervallen und die Halbwertszeit von Wissen nimmt weiter rapide ab. Zeit und Grund genug, sich mit den individuellen Potenzialen und eigenen Entwicklungsperspektiven intensiver auseinanderzusetzen. Die Unternehmen erwarten zurecht, dass ihre Führungskräfte mit ihrem Tun Wirkung erzielen und zum Erhalt und Ausbau der Wettbewerbsfähigkeit beitragen. Die Mitarbeitenden haben die berechtigte Erwartung, dass ein wertschätzender und die Zeichen der Zeit antizipierender Führungsstil gepflegt wird.

Führung mit Wert und Verstand ist nicht nur auf das Erreichen gesetzter Ziele ausgerichtet, sondern bezieht immer die (Aus-) Wirkungen auf Menschen (die Führungskraft eingeschlossen) und das ganze System mit ein. Das gelingt – wie es der Buchtitel bereits verrät – mit einem stabilen Wertefundament auf dessen Basis sich die Haltung der Führungskraft gründet. Ethische Maßstäbe des Handelns sowie der vielzitierte Purpose bilden den Rahmen für notwendige Diskussionen und thematische Auseinandersetzungen.

Führung mit Wert und Verstand bedeutet jedoch nicht, dass die emotionale Ebene – das Unterbewusste – keine Rolle spielt. Ganz im Gegenteil: die rationale und die emotionale Ebene ergänzen sich hin zu höherer Wirksamkeit – ein kongeniales Team sozusagen. Was das im Einzelnen bedeuten kann und vor allem welche konkreten Impulse sich daraus ableiten, wird mit vielen Beispielen und Hintergrunderläuterungen im Buch breit aufgefächert. Auch wenn es keine Patenrezepte guter Führung gibt, unterstützen die Reflexion des eigenen Führungsstils und der Erwartungen des Umfelds sowie das systematische Querdenken dabei, Potenziale zu erkennen und zu entwickeln. Dies ist für mich im Übrigen eine der zentralen Erkenntnisse wirksamer Führung überhaupt: Lernen und Wachstum setzt regelmäßige und strukturierte Reflexion voraus. Hierfür soll das Buch eine Grundlage darstellen. In diesem Zusammenhang habe ich einige Passagen auch den Top-Führungskräften gewidmet, denn infolge der engen täglichen Taktungen ist der Raum für Reflexion in der Regel auf den Zuschnitt einer Abstellkammer reduziert und der Fisch sollte schließlich vom Kopf her beginnen zu glänzen…

Folgende Themenkreise haben sich während des Schreibens besonders in den Mittelpunkt geschoben:

  • Spagat zwischen „alter“ und „neuer“ Businesswelt (Agilität, New Work, VUKA & Co.)
  • Sinn und Werte als unverzichtbarer Bestandteil erfolgreicher Führung
  • Managementwerkzeuge im digitalen Zeitalter neu denken
  • Kreativität und Innovation in Zeiten von Big Data
  • Fehlerkultur neu erfinden
  • Kernkompetenzen für Wirksamkeit und Stabilität
  • New Leadership: Kollaboration und Netzwerke – Verantwortung und Vertrauen
  • Ein kritischer Blick auf Ziele und Anreizsysteme: wirksame Alternativen
  • Selbstführung: raus aus dem Hamsterrad!

Abschließend ist mir noch ein grundlegender Aspekt wichtig: die Rollenklarheit von Führungskräften. Gerade im Rahmen von Veränderungsprozessen wechseln die Rollen von Führungskräften häufig, doch nicht alle Führungskräfte sind sich dessen hinreichend bewusst. Neben der Unterscheidung zwischen formalen und informellen Rollen sind in Veränderungsprozessen oft neue und zusätzliche Rollen anzutreffen, wie z.B. der Geschichtenerzähler oder der Facilitator. Werden die unterschiedlichen Rollenausprägungen nicht angenommen und tatsächlich gelebt – Stichwort u.a. Authentizität – leidet die Wirksamkeit enorm und Veränderungsenergie läuft ins Leere. Diesem Thema werde ich in einem der nächsten Blogbeiträge besondere Bedeutung schenken.

Siegmar Nesch, Führen mit Wert und Verstand, Haufe Verlag, ISBN 978-3-648-13602-7